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IDA LENNARTSSON

REISEZIEL: Japan

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Ida Lennartsson
GALERIE KARIN GÜNTHER

IDA LENNARTSSON - OFFAL

GALERIE KARIN GÜNTHER

Die schwedische Künstlerin Ida Lennartsson (*1982), die in Hamburg lebt, erzählt mittels verschiedenster Medien – darunter Bildhauerei, Fotografie und Performance – dunkel und triebhaft ausgestaltete Geschichten. Ihre surrealistischen Tableaus, die organisches Material wie Menschenhaar und Taubenkot mit gefundenen Objekten oder Stoffen vermischen,
ähneln den Stills einer Maskerade und rufen den Eindruck stark animierter skulpturaler Körper hervor.

Um für ihr aktuelles Projekt die Spannung zwischen Stille und Bewegung, zwischen lebendiger und unbelebter Materie zu erforschen, reiste Lennartsson nach Japan. Dort begab sie sich in das avantgardistische Tanztheater Butoh und dessen langsame Choreographien, von dem es heißt, dass es sich jeglicher Fixierung widersetzt. Als Mitglied einer Gruppe von Butoh-Auszubildenden ermöglichten die grotesken, oft halbnackt aufgeführten Tänze ihr eine ganze Reihe intimer Beobachtungen.

Bei der Präsentation dieses privaten Kammerspieles erschafft Lennartsson düstere, trotzdem auch spielerische Szenarien, die sich zum Teil aus der Geschichte ihrer Wohngegend, des früheren Rotlichtviertels von Yokohama, speisen. Ein Weiteres ema, das sich durch die mit Film umgesetzten neuen Arbeiten zieht, ist Krankheit. Lennartssons Immunsystem reagierte schlecht auf die fremden östlichen Keime, weshalb sie in Japan eine längere Zeit isoliert, im Haus und mit Bettruhe verbringen musste. Die ruhigen Innenräume, die blutleeren weißen Masken, überlange Nägel, unzählige halbausgetrunkene Wasserflaschen oder benutzte Taschentücher schreiben sich so in ihre halluzinatorischen Fieberträume ein. In der Arbeit sind Vorstellung und Realität, tatsächlich Gefühltes und künstliche Settings miteinander verschränkt. Der einsame Raum wird zu einer Erweiterung von Körper und Geist: Objekte wirken plötzlich wie Organe oder Innereien – als ob eine meteoritengleiche Psychomaterie zum Leben erwacht ist – während das benutzte Taschentuch wie eine Blume aussieht oder die Plastikhand eine absurde, sinnliche Zärtlichkeit beschwört.

Als Gefangene dieses geschlossenen Settings ist Lennartsson von der Gesellschaft ausgeschlossen. Sie ist eine Andere, vereinsamt in ihrer deliranten, aus Zeichen bestehenden
Unterwelt, ein Zustand, aus dem sie mittels grobem, dokumentarischem Material und fiktiven Inszenierungen präzise Collagen erarbeitet. Auf dem schmalen Grat, der zwischen
selbstausbeuterischer Bloßstellung und atemberaubend traumähnlichen Visuals verläuft, entwirft Lennartsson ein finsteres Märchenland. Der Dialog zwischen dem verrückten
Hutmacher und Alice in Alice im Wunderland fügt sich hier passgenau an: „Bin ich etwa verrückt geworden?“ Und Alice antwortet: „Ich fürchte, ja. [...] Aber soll ich dir ein
Geheimnis verraten? Das macht die Besten aus.“

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Ida Lennartsson
Ida Lennartsson, „Furrow (And my heart was always, always on my sleeve)“, 2014

Die präzise skulpturalen Aufstellungen von Ida Lennartsson – oft gemacht aus einer bunten Material-Mischung wie Glas, Stoffe, gefundene Gegenstände, echte Menschenhaare oder Taubenfäkalien – schließen ein performatives Ausdrucksmoment ein. Der japanische, verlangsamte und raue, oft absurde, körperlich geprägte Experimentaltanz „Butoh“ spielt dabei seit geraumer Zeit eine große Rolle als Inspiration ihrer künstlerischen Praxis.

Lennartsson wird in Japan in verschiedenen Workshops an Butoh-Schulen dieses Tanztheater und dessen Techniken erlernen, um der Auseinandersetzung mit den Ausdrucksmöglichkeiten und Positionen in der Konstellation Betrachter – Objekt – Künstler in Japan durch diesen „Dance of Darkness“ zu erweitern, und dabei eine neue Serie ihren Arbeiten zu erstellen.

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