ZYKLUS 2015
KURATORIN: Rhea Dall
GEFÖRDERTE KÜNSTLER*INNEN: Daiga Grantina, Helena Wittmann, André Mulzer, Ida Lennartsson, Sung Tieu
Daiga Grantina
Reiseziel
Atlantic City/USA
Konzept
KATALOGTEXT 19.01.2017
DAIGA GRANTINA – PILLARS SLIDING OFF COAT-EE
PRODUZENTENGALERIE HAMBURG + KUNSTVEREIN IN HAMBURG
Die lettische Künstlerin Daiga Grantina (*1985), die in Hamburg an der HFBK studierte, arbeitet mit Licht als dichter Materie, indem sie ausschweifende Formen aus durchlässigen und wandelbaren Oberflächen meißelt. Scheinbar in ständiger Metamorphose klettern, kriechen oder schweben die halbtransparenten, organischen Formen in erotisch viszeralen Formationen durch den Ausstellungsraum.
In Bündeln zwischen Boden und Decke gespannt, ist Grantinas aktuelle Reihe von Arbeiten, die Buffs, das Motiv in Nahansicht dieser Publikation. Es handelt sich um Außenskelette oder schalenförmige Körper aus aufgeblähtem Elasthan, die durch eine flüssige Plastikschicht erstarrt sind. Eingearbeitetes industrielles Material und Nippes betonen eine allegorische Lesbarkeit dieser gespannten, üppigen Abgüsse, die physische mit technischen und nach-menschlichen Fähigkeiten verbindet (Kabel als Arterien, Stoff als Haut, Röhren als Atemwege). Bezugnehmend auf klassische Motive aus Skulptur und Malerei, sind Grantinas jüngste Arbeiten in starker methodischer Analogie zu der Herstellung von dem amerikanischen, weichen Toffeebonbon entstanden. Eine klebrige Süßigkeit, die nach den Regeln von flüssig chaotischer Dynamik hergestellt wird. Auf der Suche nach der Mischformel von Salt Water Taffy reiste die Künstlerin zu dem Entstehungsort in die Vereinigten Staaten: Atlantic City. Das essbare Bonbon wird hergestellt, indem eine kristalline Zuckermasse in rotierender Gegenbewegung gezogen wird und somit Luft, durch ein ständiges Schichten von Oberfläche zu Tiefe, eingeschlossen wird. Diese Vereinigung von Materie dient als Inspiration für das künstlerische Verfahren. In einem Mise-en-abyme des Faltens laufen Grantinas Gesten in nicht-linearen Bahnen. Oszillierend und mutierend—so wie die Süßigkeit—scheinen die Werke (sogar nach deren Erschaffung) in ständiger Bewegung.
Im White Cube losgelassen, absorbieren die funkelnden, spröden Materialien ihre umgebende Architektur. Ihre Eingriffe deplatzieren, kolorieren und entkleiden den institutionellen Mantel in einem eindringlichen und einschließenden Antrieb, gleichsam einer keimenden Alge. Das verzierte Tableau der Künstlerin zieht den Blick in eine Folge von Schichten und (Körper-) Öffnungen. Während dieser Strudel von Figur und Grund süss und verführerisch aussieht, ruft er eine Gratwanderung in einem postfaktischen Szenario hervor, wo es weder Himmel noch Hölle, weder Fakt noch Fiktion gibt, sondern ein bodenloses Furnier von Erscheinungen—
ein exzentrischer und unablässiger Wandel unserer Wahrnehmung.
DAIGA GRANTINA – PILLARS SLIDING OFF COAT-EE
PRODUZENTENGALERIE HAMBURG
KUNSTVEREIN IN HAMBURG
Die Arbeit in der Produzentengalerie ist eine ‚Aperitif’-Arbeit was die
Einzelausstellung der Künstlerin im Kunstverein in Hamburg ankündigt.
Die Ausstellung im Kunstverein eröffnet am 27.01 um 19Uhr.
Sie sind herzlich eingeladen.
Biographie
Daiga Grantina (1985, Lettland) studierte an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg und der Akademie für Bildende Künste in Wien. Grantina war Teil des internationalen Teams von Künstlern in der research residency Le Pavillon am Palais de Tokyo Paris.
2013 präsentierte sie ihre Einzelausstellung „Legal Beast Language“ in der Galerie Joseph Tang (Paris).
Sie zeigte ihre Arbeiten unter anderem bei Gruppenausstellungen im Palais de Tokyo (Paris), ba&d (Düsseldorf), Hester Gallery (NYC) und Campoli Presti (London). Ihre kommenden Projekte werden in der Mathew Gallery (Berlin), Stefan Lundgren Gallery (Mallorca), Joseph Tang Gallery (Paris) und im kim? Contemporary Art Centre (Riga) zu sehen sein.
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Helena Wittmann
Reiseziel
Überquerung des atlantischen Ozeans
Konzept
In den filmischen Arbeiten von Helena Wittmann sind Räume immer mehr als nur bloße Austragungsorte für eine Handlung. In ihnen, mit ihnen und an ihren Grenzen entlang zeigen sich die Fragestellungen und gedanklichen Zusammenhänge, mit denen sich Wittmann auseinandersetzt. In ihren Arbeiten WILDNIS und 21,3°C sind es Wohnräume, die zu sinngebenden Elementen werden.
Für ihre neue Arbeit wird sie einen Raum untersuchen, der für Hamburg schon immer von entscheidender Bedeutung war, der die Grundsätze von ‘Reisen’ erfüllt, und der in Opposition zum Land jedoch bis heute der ‘andere’ Raum geblieben ist: der ‘Raum’ am Meer. Auf einem Segelschiff wird sie für diese Arbeit den Atlantischen Ozean überqueren.
Biographie
Nach ihrem Studium der Medienwissenschaften in Erlangen und Hamburg studierte Helena Wittmann (1982, Neuss) von 2007 bis 2014 bei Jeanne Faust, Angela Schanelec und Robert Bramkamp an der HFBK Hamburg.
Sie war Stipendiatin in der Studienstiftung des Deutschen Volkes und erhielt für ihre Abschlussarbeit 21,3°C den Karl H. Ditze Preis, sowie den HFBK Filmpreis der Hamburgischen Kulturstiftung.
Seit 2015 ist sie Trägerin des Hamburgischen Arbeitsstipendiums für Bildende Künste. Ihre Arbeiten wurden international auf diversen Filmfestivals und Ausstellungen gezeigt u.a. MoMA, USA; Lincoln Center, USA; Int. Kurzfilmtage Oberhausen; Images Filmfestival, Kanada; MUMOK, Österreich; Goethe Institute, USA, Frankreich etc.
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André Mulzer
Reiseziel
Faro (Portugal
Konzept
Basis und Ausgangspunkt des Projekts von André Mulzer ist Faro, eine Stadt mit etwa 44000 Einwohnern im Süden Portugals, die als administratives Zentrum der Algarve gilt. Während seines Aufenthalts will er ein Künstleratelier/Aufnahmestudio aufbauen. Mulzer führt seine Untersuchung von Popkulturoberflächen fort mit dem Versuch der Übersetzung des „Fado“, einem Musikstil sowie Vortragsgenre, von Moll zu Dur.
Mulzer entwickelt um unterschiedlichste Charaktere (z.b. „Crack Belly Crystal Death“) herum spröde Universen von gefundenen Gegenständen, Wortbildern und Rapsongs. Durch Audio, Foto, Text, Skulptur, sowie eine Performance in der Lagune wird Mulzer die „Fado“-Erzählungen – von unglücklicher Liebe, sozialen Missständen, Sehnsucht vergangener Zeiten, und „saudade“, der lokalen Interpretation des Weltschmerzes – verarbeiten. Die musikalische Ausarbeitung wird in Zusammenarbeit mit Dominik Mayer und Carl-John Hoffmann stattfinden.
Biographie
André Mulzer (1983, Hamburg) studierte bei Michaela Melián, Matti Braun, Johannes Paul Raether und Michael Diers an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg.
Für seinen Abschluss im Sommer 2015 erhielt er das Stipendium zur Förderung des künstlerisch-wissenschaftlichen Nachwuchses der Hamburger Hochschulen.
Als Musiker und Künstler hat er viele Live-Präsentationen hinter sich sowie diverse Gruppenausstellungen.
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Ida Lennartsson
Reiseziel
Japan
Konzept
Die präzise skulpturalen Aufstellungen von Ida Lennartsson – oft gemacht aus einer bunten Material-Mischung wie Glas, Stoffe, gefundene Gegenstände, echte Menschenhaare oder Taubenfäkalien – schließen ein performatives Ausdrucksmoment ein. Der japanische, verlangsamte und raue, oft absurde, körperlich geprägte Experimentaltanz „Butoh“ spielt dabei seit geraumer Zeit eine große Rolle als Inspiration ihrer künstlerischen Praxis.
Lennartsson wird in Japan in verschiedenen Workshops an Butoh-Schulen dieses Tanztheater und dessen Techniken erlernen, um der Auseinandersetzung mit den Ausdrucksmöglichkeiten und Positionen in der Konstellation Betrachter – Objekt – Künstler in Japan durch diesen „Dance of Darkness“ zu erweitern, und dabei eine neue Serie ihren Arbeiten zu erstellen.
Biographie
Ida Lennartsson (1982, Schweden) schloß 2013 ihren Master an der HfbK Hamburg ab mit der Arbeit „II+I,I+I+I,I+II,III“ über das Verhältnis von Betrachter, Objekt und Künstler und die in dieser Konstellation projizierten Wünsche und Symbolkräfte. Ihre Arbeiten zeigte sie u.A. bei Gallerien in Bonn, Stockholm, im Kunstverein in Hamburg, im Ausstellungshaus M.1 in Hohenlockstedt, in Böhmen, Berlin und im Züricher Kunstraum Perla Moda. Sie ist Mitbegründerin von CALL, einer Plattform, die sich seit 2012 in wandelbaren Formen und Medien (Magazin, Ausstellungen, Symposien, Parties, Festival) mit Feminismus aus zeitgenössischer Perspektive beschäftigt.
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Sung Tieu
Reiseziel
Hien-Loung Brücke, Vietnam
Konzept
SUNG TIEU – MEMORY DISPUTE
GALERIE SFEIR-SEMLER
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung der deutsch-vietnamesischen Künstlerin Sung Tieu (*1987) stehen die beherrschenden Strukturen des globalen Austauschs, die unseren gegenwärtigen Alltag durchweg bestimmen. Uns überrascht nicht länger, dass die Parfums, die wir tragen, die digitalen Geräte, die wir verwenden oder die Blumen, die wir kaufen, Teil einer transnationalen Industrie sind – das ist alltäglich, doch bleibt es oft unbemerkt. Indem Tieu sich diese Infrastrukturen mittels Durchdringung, Personalisierung und Verwertung in selbstermächtigenden Gesten aneignet, beleuchtet sie solche spezifischen Verstrickungen.
Im aktuellen Projekt erzählt sie eine persönliche Geschichte, die ihren Reisen in ihr Heimatland Vietnam folgt. Ein Land, das einst erbittert entlang seiner Teilung während des Kalten Krieges kämpfte, wurde unter einem sozialistischen Regime wiedervereint. Es machte so die umgekehrte Entwicklung durch wie der Staat, in dem die Künstlerin aufwuchs: Deutschland. Doch heute agieren beide ehemals geteilten Länder unter dem Banner einer kapitalistischen freien Marktwirtschaft, in Vietnam auch bekannt als ‘Đổi Mới.’.
Auf ihren Reisen begegnete Tieu der konsumistischen Verwandlung der eigenen Erscheinung im heutigen Vietnam – und dem weitverbreiteten Gebrauch von Hautpeeling. Eine Säurebehandlung lässt die Haut kurzzeitig ein paar Nuancen heller erscheinen und ist – trotz ihrer offensichtlich schädlichen Wirkungen – eine häufige Schönheitsanwendung in den Städten Vietnams. Neben diesem hypermodernen Phänomen wendete sich Tieu regionalen kulturellen Wurzeln zu. Sie experimentierte mit dem traditionellen Saiteninstrument ‘Đàn Bầu’, und ein längerer Aufenthalt in einem einst mit Napalm-Angriffen überzogenen Regenwald in Zentralvietnam wurde zu einer Schlüsselerfahrung. Wie die Haut lösten sich dort die äußeren Schichten der dichten Wälder durch das Säurebombardement ab, und obwohl diese jetzt nachwachsen, sind die Langzeitfolgen immer noch nicht vorhersehbar. Abgeschieden in diesem Herz der Finsternis, auf der Suche nach ihrem eigenen künstlerischen Material, erkundete Tieu diese stillen Tage filmend und schreibend. Ihr Prozess erinnert dabei an die Worte von Marguerite Duras, der französischen,in Indochina geborenen Autorin: „Die Einsamkeit des Schreibens, das ist die Einsamkeit, ohne die Geschriebenes nicht entsteht,[…]“ Schreiben (1993)
Video work:
Memory Dispute, 2017
22:34 min, video and sound
dimensions variable
Credits:
Direction Sung Tieu
Co-Editing Dan Rees
Sound Alexis Chan
Photos in the gallery space:
Lunch map, 2017
c-print on aluminium, LEDs, lithium batteries
40 x 26,5 cm
unique
Sprites, 2017
c-print on aluminium, LEDs, lithium batteries
40 x 26,5 cm
unique
Photos in the office (left to right)
A moth died
In a young forest
In search for food
By hazards
In water
A moth died, 2017
c-print on aluminium
30 x 20 cm
unique
In a young forest, 2017
c-print on aluminium
30 x 20 cm
unique
In search for food, 2017
30 x 20 cm
unique
By hazards, 2017
c-print on aluminium
30 x 20 cm
unique
In water, 2017
30 x 20 cm
unique
Biographie
Sung Tieu (1987, Vietnam) studierte Bildende Kunst an der HFBK bei Andreas Slominski und Jutta Koether sowie am Goldsmiths College, London. Letzte Ausstellungen waren u.a. in der Bundeskunsthalle Bonn (2013), Kunstverein zu Rostock (2013), Galerie Micky Schubert (2015) sowie Kinderhook & Caracas (2015). Off-site Projekte waren u.a. ‘Subnational MP3’, Dong Xuan Center, Berlin (2015), ‘Deep Skin’ im Sudbury Neutrino Observatory, Ontario (2015) sowie ‘Troi Oi’ (mit Nhu Duong), in diversen vietnamesischen Blumenläden, in U-Bahn-Stationen rundum Berlin (2014). Künftige Gruppenausstellungen u.a.: ‘Farewell (By Boat)’, Jose Garcia (Mexico City), ‘Original Fake’, Chez Valentin (Paris) sowie ‘WAR’, Mostyn (Wales). Am 7.November 2015 eröffnet ihre Einzelausstellung bei Micky Schubert, Berlin.
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Kuratorin Rhea Dall
Als Kurator für die 14. Ausschreibung wurde Rhea Dall ausgewählt. Rhea Dall hat 2013 gemeinsam mit Kristine Siegel in Berlin das PRAXES Center for Contemporary Art gegründet: ein internationales Non-Profit Ausstellungs-zentrum in Kreuzberg, in dem sie halbjährlich in einem so genannten „Cycle“ wechselnde Ausstellungsmodule aus-gehend von jeweils zwei unterschiedlichen künstlerischen Praktiken entwickeln. Mitte Juni 2015 schloss sie die Berliner Räume von PRAXES, um die vertiefende Herangehensweise an künstlerische Praktiken als Teil der 2016 in Norwegen stattfindenden Kunsttriennale „Bergen Assembly“ weiter auszugestalten.Darüber hinaus forscht Rhea Dall an der Universität Kopenhagen (Department of Arts and Cultural Studies). Davor war Rhea Dall bereits als Kuratorin in der Kunsthalle Charlottenborg in Kopenhagen (2011 – 2013) tätig, außerdem als Koordinatorin und kuratorische Assistentin der fünften und sechsten Berlin Biennale (2008/2010) sowie als Projektkoordinatorin des dänischen und skandinavischen Pavillons bei der Biennale in Venedig 2009 tätig.